Eugen Gomringer . 1998
Festrede zur Einweihung des Wirth-Denkmals in Hof am 26.07.1998
Meine Damen und Herren,
dass unsere Gesellschaft – Gesellschaft im weitesten Sinne verstanden – Schwierigkeiten hat mit Denk- und Mahnmalen, ist nicht erst durch die Auseinandersetzungen über ein Holocaust-Denkmal in Berlin bewusst geworden. Es sind fast nur noch die Diktaturen, die hemmungslos Standbilder jeder Dimension sich leisten. Für sie liegt die Ästhetik fest. Nicht aber so bei uns, und einer der Schwierigkeiten der Demokratie wird es immer sein, sich festlegen zu können auf eine bestimmte bildnerische Aussage. Überdies haben wir ja von künstlerischer Seite schon lange keine verlässlichen Stile mehr, sondern viele Kunstreflexionen und viele Argumente für alle Gegensätze. Die Kunst genießt Freiheit wie nie zuvor, was unter anderem, wie ein ganz aktueller deutscher Philosoph bemerkt, dazu führt, dass sie gar nicht mehr die Konsensfrage stellen lässt, sondern die Bestimmung dessen, was als Kunst zählt, immanent behandelt.
Nun, was unser Denk- und Mahnmal betrifft, bestand der Wunsch von Seiten der Auftraggeber und Stifter, dass es nicht nur eben ein Denkmal für Dr. Wirth sein sollte, sondern zudem noch ein Kunstwerk. Dieser letzteren Forderung habe ich es wohl zu verdanken, meine Damen und Herren, dass mir die Ehre zufällt, das vorliegende Werk in seiner ästhetischen Funktion zu würdigen. Ich bin kein Historiker und mit Wirth verbindet mich außer einem menschlichen Verständnis gerade ein Aufenthalt vor sieben Jahren im Schweizer Kanton Thurgau am Bodensee, der meiner Rückkehr nach Deutschland, nach Oberfranken, allerdings besseren Vorschub leistete als ihm, Dr. Wirth.
Sein reichhaltiges, aber geplagtes Leben lag den Wettbewerbsteilnehmern in einer ausführlichen Beschreibung vor. Thematisch einschränkend war, dass Wirth für Freiheit und Humanität als ein Mann des Wortes und der Schrift, als unermüdlicher Gründer und Verfasser von Publikationen, kämpfte. Denn es hat sich in der Geschichte der Kunst immer wieder die Frage gestellt, wie man einem Schriftsteller mit einem Denkmal gerecht werden kann. Früher, als man sich nicht scheute, einen Menschen, vornehmlich einen Mann, in seiner gewohnten Kleidung vorzustellen, eventuell noch mit Hut, sicher aber mit einem Buch und der Schreibfeder, war eine solche Lösung weit verbreitet. Der eine oder andere nähert sich in fremden Städten einem solchen Denkmal und liest an dessen Sockel Namen und einige Werktitel ab. Damit ist das Denkmal eine Erinnerung an anno dazumal. Weniger lange ist es her, dass man dazu überging, nur noch den markanten Kopf eines Dichters auf einen Sockel zu stellen um damit den geistigen Gehalt einer Figur hervorzuheben.
Wie offen man heute selbst an ein so einschränkendes Thema gehen kann, hat der Hofer Wettbewerb gezeigt. Mit den mehr als 60 Einsendungen wurde eine imposante Skala von Inter-pretationsmöglichkeiten, die wir heute zur Verfügung haben, vorgestellt. Von der Realistik, wenigstens im Detail, über Konzeptionelles bis zum Konstruktiv-Konkreten – ja sogar etwas Humoristisches war dabei – reichte die Auswahl und spiegelte die Freude an der Auseinandersetzung mit Mensch und Thema Wirth. Es musste bei der Wahl vor allem darum gehen, wie ein Künstler den gegebenen Vorwurf definierte und wie er seine Idee zum sichtbaren Ereignis zu machen gedachte. Wie aber definiert man die Arbeit, das Wesen, den Geist von Dr. Wirth? Vorkämpfer für gesetzliche Freiheit und deutsche Nationalwürde. ? Ja ! Freiheit dem Wort und der Demokratie? Ja – das sind Begriffe einer nicht-ästhetischen Funktion. Sie müssen übersetzt werden in Darstellbarkeit, in ein visuelles, ja eventuell haptisches Medium. Die Juroren, die einfühlend mitdenken und urteilen müssen, hatten wie die Künstler die Frage der Definition und der Imagination gleicherweise zu beantworten.
Das war ausschlaggebend für die Wahl des Entwurfs von Andreas Theurer. Denn es heißt in der Begründung seiner Wahl unter anderem: das Thema sei erkennbar. Ein ganz wichtiger Satz. Denn gerade daran scheitern oft hochkarätige Künstler und hervorragend ästhetische Werke. Ich darf kurz einfügen, dass ich zum Beispiel an das Georg Büchner-Denkmal von Max Bill, mich erinnere, das jedermann für eine wunderbare Skulptur hält. Allein sie ist nicht nur für Büchner gut, sondern für jeden, der einen weißen Marmorkubus als geistige Aussage umgeben von einer dunklen amorphen Gesteinsmasse verdient.
Es sind deren Viele. Oder das herrliche begehbare Denkmal des Wettbewerbs für den unbekannten politischen Gefangenen, des größten internationalen Wettbewerbs der ersten Nachkriegsjahre. Wer damals, man muss es eingestehen, ein bisschen Stacheldraht und Gefängnis antönte, war besser als wer die Ausweglosigkeit des Menschen platonisch-konstruktiv verallgemeinerte.
In Hof haben wir nun eine denkbar gute Lösung. Ich nannte sie im stillen Brüten genial. Der Künstler Andreas Theurer hat den Bezug zu Wirth überzeugend definiert. Ja, er hat alles, was wir uns unter Wirth vorstellen auf den einen Punkt gebracht , den wir in der Gründung und zum Wiederaufflackern im Todesjahr in der „Deutschen Tribüne“ erkennen. Auch für den Nichthistoriker ist das Auftreten dieses Begriffs „Deutsche Tribüne“ ungemein vordringlich und markant. Darauf kann man sich einigen.
Wie aber sollte diese Zeitschrift realistische Formen annehmen, ohne Imitation und historisches Requisit zu werden, ein anno dazumal? Eine weitere Filtration führte zur Schrift, zum Schriftsatz als Bindeglied zum Schriftsteller Wirth. Wie aber präsentiert man Schrift, Sätze, Wörter in der Öffentlichkeit? Hinzu kam der Ort, der kleine Platz. Das ist günstig für die Demokratie, besser als das halbheimliche Versteck in einem Park, besser als die Feierlichkeit auf einem Hügel. Denn immer wo öffentliche Räume Menschen einweisen, findet man am Schluss einen Platz. Der Platz konzentriert, mag seine Umgebung noch so disparat sein. So kommt alles zusammen: die Tribüne in Form einer Tribüne passt auf einen Platz, der auf den Schriftsatz konzentriert und das begehbare Material, den Pflasterstein liefert. Doch die schwierigste Frage ist wohl die Erinnerung an das Wort und seine Gestaltung. Bedenkenswert ist, dass es auch in seiner symbolischen Form nicht mit Füßen getreten werden soll. Ein lesbarer Text würde auf die Jahre vor und um 1848 verweisen, also zu Geschichte werden. Theurer will etwas anderes „rüberbringen“. Er lässt nur den Titel „Deutsche Tribüne“ stehen, aber so, dass auch er der Geschichte entzogen scheint. Es fehlt das „D“ von Deutsch. Es ist eben ein Blatt der Immerzeit. Damit das alles ganz stimmt und kein realistischer Auszug aus der Tribüne unter die Füße kommt, ist das große Blatt wie von einer Welle bewegt und die Schrift auf der Welle ist Schrift der Immerzeit; es sind nur Bildpunkte. Bewegte Schrift, bewegte Schreibe ist ein schönes Denkmal und, wie ich meine, sehr in der Nähe von Wirths Leben und bewegenden Kämpfen.
So kann Kunst, wenn sie ihren Auftrag und sich selbst genau definiert, die Geste in der Gesellschaft wagen. Es wird dieses Blatt zu einer, wie Theurer das treffend formuliert, schwebenden Kraft und dank seiner klugen Gestaltung zu einer Erhebung von Unten. Näheres wird in nobler Weise und erleuchtet von einer Lampe, die zum Platz gehört, nebenan erzählt. Die ästhetische Funktion ist erfüllt – zu hoffen ist jetzt, dass nicht stattfindet, was der Eingangs erwähnte Philosoph vorbrachte, dass was zur Kunst zähle, eine kunstimmanente Frage sei – nein, die Bevölkerung sollte jetzt Besitz ergreifen von Wirth, von der Tribüne und die mitteilende Funktion, welche die Funktion der „Deutschen Tribüne“ war, die Oberhand über die ästhetische Funktion gewinnen lassen. Was in Hof geschehen ist, die Art und Weise wie Geschichte sich mit Gewinn für die Kunst und die Öffentlichkeit thematisieren lässt, darf Vorbildcharakter beanspruchen.
Prof. Eugen Gomringer
(* 20. Januar 1925 in Cachuela Esperanza, Bolivien)
gilt als Vater der Konkreten Poesie, arbeitete als Sekretär von Max Bill an der HfG Ulm, war Leiter des Schweizerischen Werkbundes und lehrte Theorie der Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf.